Ein interessanter Artikel aus der App der Süddeutschen Zeitung:
Wissen, 01.04.2016
Medizin
Einfach mal abwarten
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Von Werner Bartens
Innehalten, Abstand gewinnen, sich besinnen und das eigene Tun überdenken. Das täte vielen Menschen im Beruf gut. Diese Empfehlung gilt auch für Ärzte, die längst nicht immer wissen, was zuverlässig hilft. Was als unmittelbarer Nutzen einer Therapie angesehen wird, beruht manchmal lediglich auf Zufall oder dem natürlichen Genesungsverlauf. David Casarett von der University of Pennsylvania ruft daher im New England Journal of Medicine von dieser Woche seine ärztlichen Kollegen dazu auf, nicht der "Illusion der Kontrolle" zu erliegen und leichtfertig den Nutzen angebotener Therapien zu überschätzen (Bd. 374, S. 1203, 2016).
"Der Glaube vieler Ärzte, dass ihre Handlungen wirksamer sind, als sich beweisen lässt, führt zu zahlreichen unnötigen und teuren Therapien", sagt Casarett. "Man muss diese Illusion zerstören, um zu rationaleren Entscheidungen in der Medizin zu kommen." Es sei zwar zutiefst menschlich, die Auswirkungen des eigenen Handelns zu überschätzen, führt der Arzt aus. Das Phänomen sei auch von Spielern bekannt, die sich beim Zocken absurde Rituale angewöhnen und überzeugt sind, damit Glücksspiele beeinflussen zu können.
In der Medizin verhält es sich Casarett zufolge trotz aller Fortschritte ähnlich. Egal, ob bei der Behandlung von Rückenschmerzen oder einer Chemotherapie: Ärzte glauben gerne, ihre Intervention sei der Grund dafür, dass es Patienten besser geht. Eine zufällige Verbesserung der Blutwerte wird als Kausalität missverstanden, auch wenn längst erwiesen ist, dass viele Krankheitsverläufe eine Eigendynamik entwickeln. So rät beispielsweise die US-Gesellschaft für Orthopädie von der Gelenkspiegelung und -spülung des Knies bei Arthrose ab. Trotzdem ist die Methode - auch in Deutschland - weit verbreitet; bis zu 80 Prozent der Eingriffe gelten als überflüssig. Beschwerden im Knie kommen und gehen, doch eine Symptomlinderung nach dem Eingriff schreiben viele Ärzte ursächlich der Intervention zu.
Man fühlt sich an den Ausspruch erinnert: Operation gelungen, Patient verstorben
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Ähnliches gilt für die Behandlung auf der Intensivstation. Wiederholt haben Studien gezeigt, dass die komplette künstliche Ernährung in den ersten sieben Tagen nicht zu empfehlen ist. Der Körper erholt sich offenbar besser, wenn er auf eigene Reserven zurückgreift. Trotzdem wird die Nahrungszufuhr über die Vene in vielen Kliniken praktiziert. Dem Patienten kommt das zwar meist nicht zugute, für den "Erfolg" der Behandlung halten dann Ersatzkriterien her, etwa ein ausgewogenerer Elektrolythaushalt, der Volumenstatus oder die Konzentration an Prä-Albumin. Man fühlt sich an den Ausspruch erinnert: Operation gelungen, Patient verstorben.
"Das wahrhaft segensreiche Arsenal der Medizin gekonnt und mit Augenmaß einzusetzen und einzufordern, wird zu einer immer größeren Herausforderung angesichts von Kommerz und irrealen Versprechungen", sagt der Bremer Gesundheitswissenschaftler Norbert Schmacke. "Ein Beleg hierfür ist auch die Schwierigkeit, mit der die Palliativmedizin immer noch um ihren Platz im Versorgungsalltag ringt." Aber auch die sanft daherkommende "Alternativmedizin" habe dazu beigetragen, das Leben zu pathologisieren. "Schon Kinder werden daran gewöhnt, dass es für jedes Wehwehchen die passenden Streukügelchen gibt", sagt Schmacke. "Abwarten ist in der Medizin fast ein Fremdwort geworden."
Es ist nicht leicht für Ärzte, in der Gemengelage von Helfen-Wollen, der Erwartung der Angehörigen, finanziellen Anreizen und der Angst vor rechtlichen Konsequenzen, auseinanderzuhalten, was auf Kausalität beruht, was auf Zufall, was wahrscheinlich ist und was unwahrscheinlich. Schon im Medizinstudium wird Wert auf intellektuell reizvolle, aber in der Praxis kaum anzutreffende Diagnosen gelegt. Jungen Ärzten muss erst wieder beigebracht werden, dass sie bei Hufgetrappel an Pferde denken sollten, nicht an Zebras. Diesem im Angelsächsischen populären Mediziner-Bonmot entspricht im Deutschen: Häufiges ist häufig, Seltenes ist selten - eine Weisheit, die im ärztlichen Alltag längst nicht so banal ist, wie sie vielleicht klingen mag.
Der Gesundheitswissenschaftler David Klemperer von der Hochschule Regensburg plädiert dafür, populäre medizinische Denkmuster zu hinterfragen: Ist Behandeln tatsächlich immer besser als nicht zu behandeln? Ist Aktivismus besser als Abwarten? "Wir haben da noch was für Sie, ist der typische Satz von Ärzten, wenn sie Patienten eine weitere Therapie anbieten", so Klemperer. Mit der verständlichen ärztlichen Sehnsucht nach Erfolg sei auch die Überzeugung zu erklären, neue Therapien wirkten besser als alte und teure besser als billige. Was viel kostet, müsse schließlich gut sein. "Mehr ist besser als weniger, früher behandeln ist besser als später. Das sind alles intuitive Annahmen, die in vielen Fällen nicht bewiesen sind, aber dazu führen, dass wir Ärzte den Nutzen überbewerten", folgert Klemperer.
Junge Ärzte müssen lernen, dass sie bei Hufgetrappel an Pferde denken, nicht an Zebras
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Casarett plädiert als Antidot gegen Überdiagnostik, Übertherapie und Überschätzung des Erfolgs dafür, sich folgende Denkmuster anzugewöhnen. Erstens: Bevor man als Arzt eine Behandlung für wirksam hält, sollte man sich überlegen, ob es nicht andere Erklärungen für vermeintliche Therapieerfolge geben könnte. Nimmt beispielsweise ein älterer Patient an Gewicht zu, nachdem er eine Ernährungssonde bekommen hat, könnte dies auch daran liegen, dass er sich aufgrund der Krankheit weniger bewegt hat oder eine auszehrende Infektion inzwischen eingedämmt wurde. Zweitens: Sieht ein Arzt Beweise für einen Erfolg, sollte er genauso nach Hinweisen darauf suchen, dass seine Behandlung versagt hat. Um beim Beispiel der Ernährungssonde zu bleiben: Der Patient mag zwar an Gewicht zugenommen haben, gleichzeitig hat er als Komplikation aber vielleicht eine Aspirationspneumonie entwickelt oder leidet jetzt an einem Dekubitus, den bei bettlägerigen Patienten gefürchteten Druckgeschwüren.
Von vielen Ärzten - und in vielen Studien - wird vorab festgelegt, nach welchen Kriterien der Nutzen einer Behandlung zu bemessen ist. Wird beispielsweise als Erfolg einer Chemotherapie die verringerte Konzentration der Tumormarker im Blut und das progressionsfreie Intervall gewählt, also die Zeit, in der sich der Krebs nicht weiter ausbreitet, lassen sich womöglich beachtliche statistische Verbesserungen beobachten. Dies muss allerdings nicht damit einhergehen, dass der Patient mit der Behandlung besser oder gar länger lebt.
"Alle Menschen unterliegen KontrollIllusionen, und wir Ärzte sind empfänglich für die therapeutische Illusion", sagt David Casarett. Gegen Übertherapien, wie unnötige Behandlungen in der Medizin genannt werden, könne die Kampagne "Choosing Wisely" hilfreich sein. Auch der Internistenkongress, der Ende kommender Woche in Mannheim beginnt, hat diese Idee unter dem Motto "Klug entscheiden in der Inneren Medizin" auf die Agenda gesetzt. Es geht darum, in jedem einzelnen Fachgebiet die häufigsten überflüssigen Untersuchungen und Behandlungen zu identifizieren und die Patienten davor zu schützen. Schließlich warnt längst auch der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen: Eine der größten Gefahren für die Patienten bestehe in unnötiger oder übertriebener Medizin.
Dr. med. Werner Bartens
Medizin
Einfach mal abwarten
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Von Werner Bartens
Innehalten, Abstand gewinnen, sich besinnen und das eigene Tun überdenken. Das täte vielen Menschen im Beruf gut. Diese Empfehlung gilt auch für Ärzte, die längst nicht immer wissen, was zuverlässig hilft. Was als unmittelbarer Nutzen einer Therapie angesehen wird, beruht manchmal lediglich auf Zufall oder dem natürlichen Genesungsverlauf. David Casarett von der University of Pennsylvania ruft daher im New England Journal of Medicine von dieser Woche seine ärztlichen Kollegen dazu auf, nicht der "Illusion der Kontrolle" zu erliegen und leichtfertig den Nutzen angebotener Therapien zu überschätzen (Bd. 374, S. 1203, 2016).
"Der Glaube vieler Ärzte, dass ihre Handlungen wirksamer sind, als sich beweisen lässt, führt zu zahlreichen unnötigen und teuren Therapien", sagt Casarett. "Man muss diese Illusion zerstören, um zu rationaleren Entscheidungen in der Medizin zu kommen." Es sei zwar zutiefst menschlich, die Auswirkungen des eigenen Handelns zu überschätzen, führt der Arzt aus. Das Phänomen sei auch von Spielern bekannt, die sich beim Zocken absurde Rituale angewöhnen und überzeugt sind, damit Glücksspiele beeinflussen zu können.
In der Medizin verhält es sich Casarett zufolge trotz aller Fortschritte ähnlich. Egal, ob bei der Behandlung von Rückenschmerzen oder einer Chemotherapie: Ärzte glauben gerne, ihre Intervention sei der Grund dafür, dass es Patienten besser geht. Eine zufällige Verbesserung der Blutwerte wird als Kausalität missverstanden, auch wenn längst erwiesen ist, dass viele Krankheitsverläufe eine Eigendynamik entwickeln. So rät beispielsweise die US-Gesellschaft für Orthopädie von der Gelenkspiegelung und -spülung des Knies bei Arthrose ab. Trotzdem ist die Methode - auch in Deutschland - weit verbreitet; bis zu 80 Prozent der Eingriffe gelten als überflüssig. Beschwerden im Knie kommen und gehen, doch eine Symptomlinderung nach dem Eingriff schreiben viele Ärzte ursächlich der Intervention zu.
Man fühlt sich an den Ausspruch erinnert: Operation gelungen, Patient verstorben
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Ähnliches gilt für die Behandlung auf der Intensivstation. Wiederholt haben Studien gezeigt, dass die komplette künstliche Ernährung in den ersten sieben Tagen nicht zu empfehlen ist. Der Körper erholt sich offenbar besser, wenn er auf eigene Reserven zurückgreift. Trotzdem wird die Nahrungszufuhr über die Vene in vielen Kliniken praktiziert. Dem Patienten kommt das zwar meist nicht zugute, für den "Erfolg" der Behandlung halten dann Ersatzkriterien her, etwa ein ausgewogenerer Elektrolythaushalt, der Volumenstatus oder die Konzentration an Prä-Albumin. Man fühlt sich an den Ausspruch erinnert: Operation gelungen, Patient verstorben.
"Das wahrhaft segensreiche Arsenal der Medizin gekonnt und mit Augenmaß einzusetzen und einzufordern, wird zu einer immer größeren Herausforderung angesichts von Kommerz und irrealen Versprechungen", sagt der Bremer Gesundheitswissenschaftler Norbert Schmacke. "Ein Beleg hierfür ist auch die Schwierigkeit, mit der die Palliativmedizin immer noch um ihren Platz im Versorgungsalltag ringt." Aber auch die sanft daherkommende "Alternativmedizin" habe dazu beigetragen, das Leben zu pathologisieren. "Schon Kinder werden daran gewöhnt, dass es für jedes Wehwehchen die passenden Streukügelchen gibt", sagt Schmacke. "Abwarten ist in der Medizin fast ein Fremdwort geworden."
Es ist nicht leicht für Ärzte, in der Gemengelage von Helfen-Wollen, der Erwartung der Angehörigen, finanziellen Anreizen und der Angst vor rechtlichen Konsequenzen, auseinanderzuhalten, was auf Kausalität beruht, was auf Zufall, was wahrscheinlich ist und was unwahrscheinlich. Schon im Medizinstudium wird Wert auf intellektuell reizvolle, aber in der Praxis kaum anzutreffende Diagnosen gelegt. Jungen Ärzten muss erst wieder beigebracht werden, dass sie bei Hufgetrappel an Pferde denken sollten, nicht an Zebras. Diesem im Angelsächsischen populären Mediziner-Bonmot entspricht im Deutschen: Häufiges ist häufig, Seltenes ist selten - eine Weisheit, die im ärztlichen Alltag längst nicht so banal ist, wie sie vielleicht klingen mag.
Der Gesundheitswissenschaftler David Klemperer von der Hochschule Regensburg plädiert dafür, populäre medizinische Denkmuster zu hinterfragen: Ist Behandeln tatsächlich immer besser als nicht zu behandeln? Ist Aktivismus besser als Abwarten? "Wir haben da noch was für Sie, ist der typische Satz von Ärzten, wenn sie Patienten eine weitere Therapie anbieten", so Klemperer. Mit der verständlichen ärztlichen Sehnsucht nach Erfolg sei auch die Überzeugung zu erklären, neue Therapien wirkten besser als alte und teure besser als billige. Was viel kostet, müsse schließlich gut sein. "Mehr ist besser als weniger, früher behandeln ist besser als später. Das sind alles intuitive Annahmen, die in vielen Fällen nicht bewiesen sind, aber dazu führen, dass wir Ärzte den Nutzen überbewerten", folgert Klemperer.
Junge Ärzte müssen lernen, dass sie bei Hufgetrappel an Pferde denken, nicht an Zebras
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Casarett plädiert als Antidot gegen Überdiagnostik, Übertherapie und Überschätzung des Erfolgs dafür, sich folgende Denkmuster anzugewöhnen. Erstens: Bevor man als Arzt eine Behandlung für wirksam hält, sollte man sich überlegen, ob es nicht andere Erklärungen für vermeintliche Therapieerfolge geben könnte. Nimmt beispielsweise ein älterer Patient an Gewicht zu, nachdem er eine Ernährungssonde bekommen hat, könnte dies auch daran liegen, dass er sich aufgrund der Krankheit weniger bewegt hat oder eine auszehrende Infektion inzwischen eingedämmt wurde. Zweitens: Sieht ein Arzt Beweise für einen Erfolg, sollte er genauso nach Hinweisen darauf suchen, dass seine Behandlung versagt hat. Um beim Beispiel der Ernährungssonde zu bleiben: Der Patient mag zwar an Gewicht zugenommen haben, gleichzeitig hat er als Komplikation aber vielleicht eine Aspirationspneumonie entwickelt oder leidet jetzt an einem Dekubitus, den bei bettlägerigen Patienten gefürchteten Druckgeschwüren.
Von vielen Ärzten - und in vielen Studien - wird vorab festgelegt, nach welchen Kriterien der Nutzen einer Behandlung zu bemessen ist. Wird beispielsweise als Erfolg einer Chemotherapie die verringerte Konzentration der Tumormarker im Blut und das progressionsfreie Intervall gewählt, also die Zeit, in der sich der Krebs nicht weiter ausbreitet, lassen sich womöglich beachtliche statistische Verbesserungen beobachten. Dies muss allerdings nicht damit einhergehen, dass der Patient mit der Behandlung besser oder gar länger lebt.
"Alle Menschen unterliegen KontrollIllusionen, und wir Ärzte sind empfänglich für die therapeutische Illusion", sagt David Casarett. Gegen Übertherapien, wie unnötige Behandlungen in der Medizin genannt werden, könne die Kampagne "Choosing Wisely" hilfreich sein. Auch der Internistenkongress, der Ende kommender Woche in Mannheim beginnt, hat diese Idee unter dem Motto "Klug entscheiden in der Inneren Medizin" auf die Agenda gesetzt. Es geht darum, in jedem einzelnen Fachgebiet die häufigsten überflüssigen Untersuchungen und Behandlungen zu identifizieren und die Patienten davor zu schützen. Schließlich warnt längst auch der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen: Eine der größten Gefahren für die Patienten bestehe in unnötiger oder übertriebener Medizin.
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