Donnerstag, 5. Februar 2015

Pflege-TÜV und gemeinsame Selbstverwaltung

Ein interessanter Artikel aus der App der Süddeutschen Zeitung:
Meinung, 05.02.2015

Gesundheitswesen

Es war immer der andere
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Von Guido Bohsem

Für Dinge, die im Gesundheitswesen oder in der Pflege falsch laufen, gibt es eine goldene Regel. Egal, welchen Akteur man fragt - verhindert, blockiert oder sabotiert haben immer nur die anderen. Selbst war man stets konstruktiv und uneigennützig. Und so kann es vor lauter Schuldzuweisungen schon mal passieren, dass ein Gesetzesvorhaben zehn Jahre lang nicht umgesetzt wird wie bei der elektronischen Gesundheitskarte. Oder dass man ein mega-bürokratisches System wie den Pflege-TÜV ausknobelt, das für Transparenz sorgen soll, im Endeffekt aber mehr verschleiert als offenlegt.

Wenn es deutsche Meisterschaften im Schwarzer-Peter-Spielen geben würde, dominierten die Spieler des Gesundheitswesen die Veranstaltung wohl ebenso wie der FC Bayern München die Bundesliga dominiert. Meister in der Schuldzuweisung sind nicht nur die Funktionäre der sogenannten Selbstverwaltung, die aus Ärzten, Krankenhausverband, Krankenkassen und Apothekern besteht. Nein, auch die Gesundheitspolitiker sind Profis im blame game, der Disziplin der gegenseitigen Schuldzuweisung. Verlierer sind die Patienten, die Versicherten und Pflegebedürftigen, die schlechter versorgt und behandelt werden als sie es verdienen.

Grob gesprochen funktioniert die Sache so: Der Gesetzgeber gibt den Akteuren den Rahmen vor. Die Selbstverwaltung, also die oben genannten Interessensgruppen, entscheiden dann darüber, wie der Gesetzesbeschluss konkret etwa in der Praxis oder der Klinik angewandt wird.

Die Politik hat die Detailarbeit aus zwei Gründen ausgelagert. Einmal, um die bei den Interessengruppen vorhandene Expertise zu nutzen. Zum anderen aber auch, um sich den Ärger über die Auswirkungen der Gesetze so weit wie möglich vom Hals zu halten. Egal, was für ein Blödsinn rauskommt, die Politik kann immer sagen, es war die Selbstverwaltung.

In der Selbstverwaltung geht das Spiel weiter. Dort ist über die Jahre ein irrer Rangierbahnhof entstanden, in dem Verantwortung von Kassen zu Ärzten, von Ärzten zu Krankenhäusern und von dort wieder zu den Kassen geschoben wird. Und am Ende wundern sich alle, warum es wieder mal nicht geklappt hat mit den tollen Gesetzen.

Vieles liegt an den unterschiedlichen Interessenslagen und fast immer geht es ums Geld, um die gut 184 Milliarden Euro, die jährlich im Gesundheitssystem verteilt werden. Zwar argumentieren die Funktionäre stets mit dem "Wohl des Patienten", doch haben die Organisationen vor allem das Wohl ihrer Mitglieder im Auge - stets geleitet von der Frage, wie man ein größeres Stück vom Kuchen erhaschen kann.

Die Gesundheitspolitiker wissen über die Mechanismen bestens Bescheid. Trotzdem haben sie in den vergangenen Jahren immer mehr Aufträge an die Selbstverwaltung delegiert. Speziell die große Koalition ist dabei, die Menge der Aufgaben noch einmal zu erhöhen. Da darf man sich nun wirklich nicht wundern.

Was also ist zu tun? Zwei Dinge. Die Politik darf die Selbstverwaltung nicht überlasten. Sie muss einsehen, dass die Gesundheitsversorgung in vielen Dingen zu komplex ist, um sie zentral von einem konstitutiv zerstrittenen Expertengremium in Berlin regeln zu lassen. Manches können die Verantwortlichen in den Regionen einfacher, schneller und besser regeln. Warum werden beispielsweise bundesweite Vorgaben erstellt, die dann für so unterschiedliche Regionen gelten sollen wie der armen Oberpfalz und dem reichen Starnberger See? Zweitens muss die Politik bei Dingen, die ihr wirklich wichtig sind, schneller und konsequenter Verantwortung übernehmen und der Selbstverwaltung klare und harte Vorgaben machen. Auch auf die Gefahr hin, dass sie dann zum Opfer im blame game werden.


Guido Bohsem 

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