Freitag, 6. Februar 2015

Impfgegnerschaft in USA und anderswo und Denialism

Ein interessanter Artikel aus der App der Süddeutschen Zeitung:

Außenpolitik, 05.02.2015 
USA 

Politische Kinderkrankheiten 
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Von David Hesse 

Mit den Masern verbreitet sich die Wut. "Bitte, unterrichtet eure ungeimpften Kinder daheim und lasst sie nur in Randzeiten auf die öffentlichen Spielplätze", schreibt ein erboster Vater einer Tageszeitung. Wer unbedingt verantwortungslos leben wolle, der solle das im Privaten tun, und nicht anderer Leute Kinder gefährden. Impfgegner haben in den USA dieser Tage einen schweren Stand: Weil sie ihre Kinder in wachsender Zahl nicht mehr gegen Mumps, Masern und Röteln immunisieren lassen, kehren besiegt geglaubte Plagen zurück. Seit Jahresbeginn haben sich mehr als 100 Personen an Masern angesteckt, obwohl die Infektionskrankheit in den USA vor 15 Jahren für ausgerottet erklärt wurde. Impfgegner und ihre Verbände geraten unter Druck. Die öffentliche Meinung verhärtet sich. 

Offensichtlich verpasst haben diesen Umschwung zwei prominente Vertreter der republikanischen Partei, die beide Ambitionen fürs Präsidentschaftsrennen 2016 hegen. Chris Christie wie Rand Paul haben diese Woche Impfverweigerung als Bürgerrecht verteidigt - und sich gründlich blamiert. Christie, schwergewichtiger Gouverneur des Staates New Jersey, sagte am Montag, Eltern müssten in der Impffrage "eine Wahl" haben - spätere Versuche zur Abschwächung der Aussage scheiterten. Derweil behauptet Senator Rand Paul aus Kentucky, selber Mediziner, jeder müsse "für sich" entscheiden. Er selbst halte die Masern-Impfung für "eine gute Idee" und habe seine Kinder spritzen lassen. Doch letztlich gehe es um die "Freiheit" des Einzelnen und die Grenzen staatlicher Gewalt: "Deine Kinder gehören nicht dem Staat", sagte Paul dem Sender CNBC. 

"Solche Aussagen wecken Zweifel an ihrer Urteilsfähigkeit." 
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Der politische Gegner freut sich. Wieder einmal präsentieren sich die Republikaner als Feinde von Wissenschaft und gesundem Menschenverstand. Nach Evolutionstheorie und Klimawandel scheinen sie nun auch die Notwendigkeit bewährter Immunisierungen infrage stellen zu wollen: "Die Fakten sind klar: Die Erde ist rund, der Himmel blau, und Impfungen funktionieren", frohlockte die wahrscheinliche demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton per Twitter. Paul und Christie scheinen sich verrechnet zu haben. Impfverweigerung ist nicht massentauglich in den USA. 

Wer sie verteidigt, bugsiert sich in die Schmuddelecke. Die eher konservative Redaktionsleitung der Washington Post kritisiert beide Politiker scharf: "Solche Aussagen wecken Zweifel an ihrer Urteilsfähigkeit und Eignung für hohe politische Ämter." Natürlich gilt individuelle Freiheit viel in den USA, aber öffentliche Sicherheit und Gesundheit noch mehr: Wer sich gegen "Health and Safety" stellt, hat verloren. Das muss auch der konservative Senator Thom Tillis aus North Carolina erfahren, der gerade laut die Händewasch-Pflicht für Restaurantangestellte als unnötige staatliche Regulierung ablehnte. Im Internet ist Tillis nun als Stinkfinger verschrien, ein Kollege schien sich neulich zum Händedruck mit Tillis überwinden zu müssen. 

Zu sehr freuen aber sollten sich die Demokraten nicht. Nicht wenige Impfverweigerer sind ihre Wähler. Es sind nicht länger nur christliche Fundamentalisten und bewaffnete Paranoiker auf abgeschiedenen Höfen, die in jedem Schularzt einen Angriff auf ihren Lebensstil und ihre Freiheit sehen. Laut letzten Erhebungen verzichten gerade gut ausgebildete, besser verdienende und links wählende Eltern besonders oft auf die Impfung ihrer Kinder. Sie haben Fürsprecher in Hollywood und Silicon Valley und scheinen sich dem Staat und seinen Vorschriften intellektuell überlegen zu fühlen. Wie sie in allen anderen Lebensbereichen die Kontrolle zu übernehmen gewohnt sind, wollen sie sich auch bei der Kindergesundheit nicht reinreden lassen: "Manche Leute sind so sehr gewohnt, die Wahl zu haben, dass sie sich nun dafür entscheiden, Trottel zu sein", kommentiert der Kolumnist Frank Bruni in der New York Times. Dubiose Forschungen, wie jene oft widerlegte Studie über den Zusammenhang von Autismus und Impfungen, geraten über Online-Kanäle in Haushalte jeder politischen Couleur. Paul und Christie scheinen mit ihrem Vorstoß unfreiwillig parteiübergreifendes Potenzial bewiesen zu haben. 


Dazu ein ein lesenswerter Beitrag im Gesundheit-Check von Joseph Kuhn:
Denialismus beim Impfen   Link

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