Mittwoch, 4. April 2012

Überdiagnose bei Brustkrebsfrüherkennung

Im Lehrbuch Sozialmedizin findet sich das Thema Überdiagnose  auf auf S. 185: "Ein schwerwiegender indirekter Schaden (von Krebsfrüherkennung) sind. Überdiagnose und Übertherapie. Damit werden die Entdeckung und Behandlung von kleinen Tumoren bezeichnet, die im weiteren Leben nie auffällig geworden wären, weil sie nicht weiter wachsen oder sich gar zurückbilden."

Eine gerade veröffentlichte Studie mit Daten des Norwegischen Brustkrebs-Screeningprogramms kalkuliert den Anteil der Fälle von Überdiagnose bei der Früherkennung von Brustkrebs auf 15 bis 25%, d.h. von 100 Frauen, bei denen Brustkrebs durch Früherkennung entdeckt wird, wäre die Krankheit bei 15 bis 25 nie in Erscheinung getreten.

Overdiagnosis of Invasive Breast Cancer Due to Mammography Screening: Results From the Norwegian Screening Program. Annals of Internal Medicine, 3.4.2012 Abstract

Dazu die Süddeutsche am 4.4.2012:
Wissen
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Mammographie entdeckt oft Krebs, der nie Beschwerden bereitet hätte

In etlichen Ländern wird Frauen zwischen 50 und 69 Jahren empfohlen, regelmäßig an Früherkennungstests auf Brustkrebs teilzunehmen. Die Untersuchung im Abstand von zwei Jahren steht allerdings in der Kritik, denn immer wieder werden dabei Tumore übersehen - oder die Mammographie deckt Krebsformen auf, die sich nie bemerkbar gemacht hätten, in der Folge aber trotzdem behandelt werden. Diese Überdiagnosen bringen Frauen keine Vorteile, sondern nur zusätzliches Leid durch die weitere Diagnostik und Therapie. Ihr Anteil könnte noch größer sein, als bisher von Ärzten vermutet. Bei immerhin 15bis 25 Prozent aller Brustkrebs-Diagnosen könnte es sich um diese Form von Fehlalarm handeln, schätzen Harvard-Mediziner im Fachblatt Annals of Internal Medicine (Bd.156, S.491, 2012).

Die Ärzte um Mette Kalager hatten 40000 norwegische Frauen mit Brustkrebs in ihre Studie aufgenommen. Mehr als 7700 erkrankten an dem Tumor, nachdem das Screening in Norwegen 1996 begonnen wurde. Verglichen mit der Zeit vor der Reihenuntersuchung wurden nach 1996 sogar mehr Frauen mit Brustkrebs im Spätstadium diagnostiziert. Dabei hätten diese Fälle seltener auftreten müssen, wenn die Früherkennung von Vorteil gewesen wäre, so die Annahme der Forscher. Zwischen 1169 und 1948 der 7700 Frauen - das sind 15 bis 25 Prozent - bekamen die Diagnose Krebs, obwohl sie zeitlebens nie etwas von dem Tumor bemerkt hätten. 'Die Mammographie ist vermutlich für das Screening nicht geeignet, da man dabei kaum zwischen aggressiven und harmlosen Tumoren unterscheiden kann', sagt Kalager. 'Radiologen erkennen jede kleine Veränderung. Für Frauen wird es zum Problem, wenn Krebs diagnostiziert wird, aber weder Symptome auftreten, noch der Tod folgt.'

Die Forscher haben berechnet, dass 2470 von 2500 Frauen nie mit der Diagnose Brustkrebs konfrontiert werden. Eine von 2500 wird durch Screening vor dem Krebstod bewahrt - aber sechs bis zehn werden überdiagnostiziert und operiert, bestrahlt oder mit Chemotherapie behandelt, ohne Vorteile davon zu haben. 'Wir müssen Frauen auf das Problem hinweisen', fordern die Krebsexpertinnen Joann Elmore und Suzanne Fletcher. 'Nur weil es heikel ist, über die Schäden zu reden, dürfen wir das Thema nicht verschweigen.' WERNER BARTENS


Quelle
Verlag     Süddeutsche Zeitung
Datum     Mittwoch, den 04. April 2012
Seite       16

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